Notfälle richten sich nicht nach dem Terminkalender. Sie ergeben sich regelmäßig auch dann, wenn der vertraute ‚Hausarzt‘ leider nicht greifbar ist. Das hat wohl manch einer von uns schon erleben müssen.
Uns hat es am vergangenen Wochenende erwischt. Charis entwickelte innerhalb weniger Stunden einen heftigen Brechdurchfall, der auch schnell blutig wurde.
Dies an sich hätte mich nicht unbedingt in Panik versetzt. Es gibt einige recht ‚harmlose‘ Gründe, die zu solch beeindruckenden Zuständen führen können. Jedoch kennen wir Charis nach vier Wochen noch nicht so gut. Wir wissen noch nicht, wie ihr Körper mit bestimmten Situationen umgeht und fertig wird.
So blieb uns nichts anderes übrig als zu einer der Tierkliniken in unserer Gegend zu fahren. Dort waren wir früher auch mit unseren Hunden, hatten uns aber nach einigen ‘irritierenden‘ Erlebnissen anderweitig orientiert (wobei wir dort auch ein paar wirklich gute Erlebnisse hatten 😉 ).
Nun musste unserer kranken Fledermaus schnell geholfen werden. Da drängt man schlechte Erinnerungen beiseite. Meine Horrorvorstellung war zudem, dass Charis (die gerne alle möglichen und unmöglichen Dinge in die Schnauze nimmt) evtl. irgendeinen Fremdkörper im Leib hätte, der gerade sein fatales Werk an ihren Darmwänden verrichten würde.
Und schon eilte er herbei: Unser Retter in der Not, der Tierarzt im Wochenenddienst! 🙂
Alle wichtigen Informationen wurden ausgetauscht. Ich wies mehrfach darauf hin, dass Charis erst seit kurzer Zeit bei uns ist, dass sie aufgrund ihrer Vergangenheit ziemliche Probleme mit tierärztlichem Ambiente hat usw. Derweil tastete und drückte der Doc auch schon überall an der erstarrten Patientin herum und versicherte uns dann, dass nach seinem Befund nicht von einem Fremdkörper auszugehen wäre, sondern eher von einer Magen-/Darmverstimmung. Evtl. hätte Charis irgend etwas Unpassendes aufgenommen, vielleicht hätte sie sich einen derzeit grassierenden Virus eingefangen …
Und so nahm das Drama in Form mehrerer Spritzen gegen dieses und für jenes seinen Lauf. Insgesamt viermal musste unsere Flattermaus – zuletzt nur noch panisch schreiend und unter Aufbietung aller Kräfte und Fixierungskünste von vier Menschen gehalten – die Tortur über sich ergehen lassen.
Es gibt Ärzte, die Spritzen so setzen können, dass das Tier (so gut wie) nichts davon merkt. Dieser Herr gehört nicht zu denen!
So weit so schlimm. Charis durfte endlich runter vom Tisch. Reinhard und ich atmeten erleichtert durch. Herr Doktor erzählte noch, welche mitzunehmenden Medikamente wir der Patientin in welcher Dosis wie oft über den Tag verteilt und wie lange insgesamt noch geben sollten. Ich näherte mich derweil mit Charis der Türe, um so schnell wie möglich mit ihr diesen Raum des Schreckens verlassen zu können.
Doch dem Ganzen sollte noch eine Spitze aufgesetzt werden. 🙁
Herr Doktor rief mehrfach: ‘Komm mal her!‘ und ‘Ja, nun komm doch mal!‘. Mein Kommentar war natürlich, dass er das ja wohl nach dieser Aktion vergessen könnte. Charis würde jetzt selbstverständlich nicht (mehr) zu ihm kommen! Nun, ICH solle ja auch mit dem Hund zu ihm kommen. Wieso sprach er dann nicht mich an? Ich dachte nur noch ‘Was will er ihr denn nun noch einflößen?‘ und schleppte unsere Fledermaus so freundlich wie möglich in Richtung Arzt.
Kaum, dass sie in seiner Reichweite war, beugte er sich mit seinem kompletten Oberkörper über Charis! Eilig griff er Charis ins Halsband, so dass sie ihm nicht entweichen konnte!! Er ‘schrubbelte‘ und tatschte ihr ‘enthusiastisch‘ über den Kopf und das Gesicht und klopfte ihr zuguterletzt ‚kumpelhaft‘ auf dem Vorderkörper herum!!!

Ich brauche wohl nicht zu betonen, wie entsetzt und mit wie weit aufgerissenen Augen Charis guckte!
Ich brauche vermutlich auch nicht weiter auszuführen, was ich in diesem Moment am liebsten mit Herrn Doktor angestellt hätte. 😉
Schließlich gelang es mir, sie seinen Händen zu entreißen und den Raum im Eiltempo zu verlassen. Reinhard übernahm Charis und stürmte mit ihr aus der Praxis, während ich noch die Rechnung begleichen musste.
Ich war derart fertig und aufgewühlt, dass ich in verzweifelter Impulskontrolle mehrfach ‘1 – 2 – 3‘ zählte. Die nette, mit der Situation aber auch etwas überforderte Sprechstundenhilfe konnte das natürlich nicht übersehen und fragte freundlich, was denn los sei.
Dass die Spritzenaktion nicht so schön war, konnte auch sie nicht leugnen, aber das abschließende Krabbeln wäre doch eine Entschädigung gewesen und würde den Tieren sonst helfen!
Ach ja!!!?????

Ich bat sie sich einmal vorzustellen, dass sie in einer ihr ohnehin schon Angst einflößenden Umgebung von fremden Wesen gepackt und fixiert würde (darunter zwei, denen sie gerade erst zu vertrauen begonnen hätte). Dann würde eines der Wesen sie immer wieder mit einer Spritze traktieren. Endlich sei der Moment gekommen, wo sie dächte fliehen zu können. Stattdessen aber würde sie noch einmal zu dem Peiniger gezerrt, der sie nun körpersprachlich bedrohe und regelrecht platt mache. Als Gipfel würde dieses Subjekt sie dann auch noch fröhlich lachend in einem intimen Körperbereich begrabbeln.
Ob Sie das dann allen Ernstes als beruhigend oder gar hilfreich empfände!? Die Sprechstundenhilfe guckte daraufhin ähnlich entsetzt wie Charis einige Minuten zuvor.
Mit den Worten ‚Mit solchem Verhalten wird keinem Tier geholfen … und schon gar nicht einem unserer, denn wir werden definitiv nie wieder kommen!‘ verließ ich die Praxis.
Ich denke, die Sprechstundenhilfe wird noch eine ganze Weile über meine Worte nachgedacht haben. Bei Herrn Doktor habe ich Zweifel. Der gefiel sich einfach zu gut in seinem Tun.
– – –
Medizinisch gesehen geht es Charis inzwischen wieder gut. Die Ursache für die Magen-/Darmverstimmung war ziemlich sicher ein vorheriger Besuch unseres Komposthaufens.
Nach einigen sehr verstörten Stunden hat Charis wieder Zutrauen zu uns gefasst. Dennoch werden uns diese unschönen Momente noch eine Weile verfolgen.
Die Fledermaus zeigt in einigen Situationen wieder die Scheu vor der Hand, die sie gerade erst angefangen hatte abzulegen. Auch schläft sie seither wieder zusammengekringelt und hat sich noch nicht einmal wieder so gestreckt, wie wir es zuletzt häufig sahen.
Ich bin keine Medizinerin und mag mir über die fachliche Kompetenz des Arztes kein Urteil anmaßen. Seine Kompetenz im Umgang mit tierischen Patienten wie auch mit den Menschen dahinter ist für mich persönlich allerdings extrem optimierungsfähig!
Natürlich gibt es Situationen in der Not, in denen sich ein gewisses Maß an ‘Gewalt‘ nicht verhindern lässt. Das, was Charis in diesem Notdienst erleben musste (und wir mit ihr), war definitiv nicht nötig. Das hätte sich mit etwas mehr Geduld und vor allem mit ein wenig Verständnis für das Tier besser lösen lassen!
Wir haben inzwischen von einem Tierarzt gehört, der ähnlich wie die Ärztin unseres Vertrauens arbeiten soll. Den werden wir uns zur Sicherheit mal gaaanz vorsichtig angucken …